1s | Social-Media-Modus und Influencer-Marketing |
4s | bekommt man manchmal den Eindruck, dass es im Internet |
7s | nur noch hübsche und erfolgreiche Menschen gibt. |
9s | Hier auf dem Kanal schon mal nicht. Der Schein trügt. |
13s | Gerade im digitalen Zeitalter, |
14s | wenn Fotos mit wenigen Klicks verändert werden können, |
17s | fragt man sich kritisch: Was ist eigentlich noch echt? |
20s | Welche Falten wurden wegretuschiert, welche Muskeln hervorgehoben |
24s | welche Brüste vergrößert? |
26s | Aber das ist kein modernes Phänomen: |
28s | Fotomontage und Retusche sind sehr viel älter als man glaubt. |
32s | Lange vor Photoshop und lange vor den ersten Computern |
36s | hat man sich kleineren und größeren Tricks bedient, |
40s | um Fotos besser aussehen zu lassen. |
42s | Hier ist eine kurze Geschichte der Fotomanipulation, in diesem Video. |
49s | Ende des 19.Jahrhunderts waren Fotografien für viele Menschen Luxus. |
53s | Man musste lange auf einen Fototermin warten, |
55s | oft in die nächstgrößere Stadt fahren, teuer war es auch noch. |
59s | Deshalb wurden solche Fotos |
61s | oft nur bei besonderen Anlässen wie bei der Kommunion, |
64s | am Ende des Wehrdienstes oder bei der Hochzeit gemacht. |
67s | Diese Bilder mussten möglichst perfekt werden. |
70s | Professionelle Fotografen waren schon bald daran, |
73s | die Bilder zu bearbeiten, |
74s | unterschiedliche Objektive zu benutzen |
77s | oder die Helligkeitswerte zu korrigieren. |
79s | Kleinere Mängel wie Staubkörner auf der Linse |
82s | oder Artefakte, die während der Aufnahme entstanden, |
84s | konnten während der Vergrößerung beseitigt werden. |
87s | An der Wende zum 20.Jh. |
88s | wurden erstmals ganze Bilder-Collagen erschaffen, |
91s | indem man mehrere Negative übereinanderlegte, |
94s | sie zusammenschnitt und sogar zusätzlich bemalte. |
97s | Es blieb alles zunächst sehr privat und zum Vorteil des Kunden. |
102s | Und so ein bisschen Retusche macht |
104s | noch keinen Fake im eigentlichen Sinne aus. |
107s | Aber bald erkannte man auch den öffentlichen Nutzen |
110s | von bearbeiteten, manipulierten Fotografien. |
113s | Der 1. Weltkrieg war auch ein Krieg der Bilder. |
116s | Für Postkarten, Zeitungen und Kriegsausstellungen |
119s | wurden erstmals massenweise Fotos geschossen. |
122s | Erstmals reisten auf allen Seiten Fotografen an die Schauplätze. |
126s | Und sogar die ersten Taschenkameras wurden mitgenommen. |
129s | Die Neugierde der daheimgebliebenen Bevölkerung war groß. |
133s | Besonders sehnten sich viele nach echten, |
135s | authentischen Bildern von der Front. |
137s | Aber für den Fotografen war es nahe am Kampfgeschehen lebensgefährlich |
141s | und oftmals technisch unmöglich, |
143s | die sperrigen und empfindlichen Fotoapparate zu benutzen. |
146s | Also bediente man sich zunächst eines einfachen Tricks: |
150s | Man stellte die Kampfszenen einfach nach. |
152s | Hier ist ein Beispiel dafür: |
154s | Dieses ikonische Foto zeigt kanadische Soldaten |
158s | "going over the top", |
160s | also über den Grabenrand hinaus aufs Schlachtfeld stürmen. |
163s | Oftmals findet man zu diesem Foto verschiedene Bildbeschreibungen |
167s | wie "Kampfszenen an der Somme" |
169s | oder "Kanadische Soldaten bei der Schlacht von Vimy Ridge". |
173s | Alles Quatsch, das Foto wurde auf einem Trainingsplatz aufgenommen. |
176s | Ganz vorne zeigt der Soldat nicht den Deutschen die Nase, |
180s | sondern den Kameramännern auf der anderen Seite außerhalb des Bildes. |
184s | Im Originalbild trägt der Soldat neben ihm |
187s | sogar noch eine schützende Hülle über dem Gewehrverschluss. |
190s | Diese wurde in einem späteren Bild aber rausretuschiert. |
194s | Dann wurden verschiedene Bildbereiche auch noch aufgehellt. |
197s | Also auch hier eine Manipulation. |
199s | So verkaufte man es der Öffentlichkeit |
202s | als echtes, authentisches Bild vom Schlachtfeld. |
205s | Der Betrachter weiß das natürlich nicht und vertraut dem Fotografen. |
209s | Man kann davon ausgehen, dass nahezu alle solche "echten" Kampfszenen |
213s | aus dem 1.Weltkrieg gestellt sind. |
215s | Sie sollten dazu dienen, |
216s | Zeitungen und Ausstellungen besser zu vermarkten. |
219s | Bald erkannten auch die Mächtigen des 20.Jh. |
223s | den Nutzen solcher Bildbearbeitungen, |
225s | besonders die Diktatoren und Herrscher, autoritäre Regime. |
229s | Denn normalerweise geht man davon aus, |
231s | dass die Fotografien die Gegenwart dokumentieren |
234s | und dabei objektiv einen Augenblick für die Geschichte festhalten. |
238s | Wer also die Fotos nachträglich verändert oder bestimmt, |
241s | was auf ihnen zu sehen ist, der bestimmt auch die Geschichte |
244s | oder verändert sie. |
245s | So wird hier mal eine Geliebte aus dem Foto wegretuschiert, |
249s | an anderer Stelle ein in Ungnade gefallener Parteigenosse entfernt. |
253s | Besonders oft ist das in der frühen Sowjetunion geschehen. |
256s | Während der Zeit der Revolution 1917 |
259s | und des Überlebenskampfs der Bolschewiken |
261s | ist Wladimir Lenin nur selten auf Fotos zu sehen. |
264s | Erst nach dem Sieg im Bürgerkrieg und der Machtübernahme der Bolschewiki, |
268s | tritt der siegreiche Revolutionär als unsterbliche Legende |
272s | in den Medien hervor. |
274s | Auf diesem Bild aus dem Jahr 1920 |
277s | spricht Lenin gerade zu seinen Truppen. |
279s | Klar zu sehen ist auch Leo Trotzki, 1. Volkskommissar und neben Lenin |
283s | der bedeutendste Mann der Revolution. |
286s | Aber: Nach Lenins Tod entbrennt ein bitterer Machtkampf |
290s | um dessen Nachfolge und damit um die Spitze der Sowjetunion. |
293s | In diesem Kampf unterliegt Trotzki dem skrupellosen Josef Stalin. |
297s | Trotzki wird später im Exil ermordet. |
299s | Zwar konnte der Weggefährte Lenins |
301s | nicht so einfach aus der Geschichte gelöscht werden, |
304s | aber man konnte seine Rolle herunterspielen. |
307s | So wurde er aus dem Bild entfernt. Er wurde wegretuschiert. |
310s | Josef Stalin's Herrschaft ist von Terror und Verfolgung gekennzeichnet. |
315s | Selbst Freunde und Parteigenossen werden nicht verschont. |
318s | Auf diesem Foto sind Josef Stalin und Nikolai Jeschow |
321s | bei einem Spaziergang am Moskau-Wolga-Kanal zu sehen. |
324s | Das Foto ist um 1937 entstanden. |
327s | Zu dieser Zeit war Jeschow Chef des NKWD, |
330s | des sowjetischen Geheimdienstes. |
332s | Er war für die Ermordung von rund 1 Mio.Menschen |
335s | während des "Großen Terrors" verantwortlich. |
337s | Aber durch die Säuberungen |
339s | hatte sich Jeschow auch seinen eigenen Machtapparat geschaffen. |
343s | Irgendwann wurde er nicht nur der eigenen Partei, |
345s | sondern auch Stalin selbst gefährlich. Das war sein Verhängnis. |
349s | Jeschow wurde zum Volksfeind erklärt und 1940 im Gefängnis hingerichtet. |
353s | Nach Stalin's Wünschen |
355s | sollte auch er nachträglich aus der Geschichte entfernt werden. |