0s | In Marokko das mulmige Gefühl allein auf die Straße zu gehen, |
3s | weil es könnte ja passieren, dass mein Vater irgendwo da steht, |
6s | und dich irgendwo ins Auto zieht. Das war in Deutschland gar nicht. |
9s | Weil er ja nicht nach Deutschland durfte. |
11s | Also hier konnte ich wunderbar alleine draußen spielen. |
14s | *Titelmelodie* |
24s | Ich bin Namika, 26 Jahre alt. Ich komme aus Frankfurt am Main. |
29s | Ursprünglich bin ich aus Marokko. Und ich mache Musik. |
33s | *Musik* |
37s | Meine Eltern kommen ursprünglich aus Nador. |
39s | Das ist eine kleine Hafenstadt im Norden von Marokko. |
41s | Dort ist meine Mutter bis zum 5. Lebensjahr aufgewachsen, |
44s | danach ist sie nach Deutschland, nach Frankfurt gekommen. |
47s | Weil ihre Eltern nach Deutschland gekommen sind. |
49s | Mein Vater ist gekommen, weil meine Mutter ihn geheiratet hat. |
55s | Meine Mutter hat direkt Anschluss gefunden in Deutschland, |
58s | sie ist hier zur Schule gegangen. |
60s | Mein Vater hat ja sein ganzes Leben in Marokko verbracht sozusagen, |
63s | seine Jugend vor allem auch. |
64s | Er kommt aus einem wohlhabenden Elternhaus. |
67s | Und als er dann nach Deutschland kam, hat er sich, glaube ich, |
69s | nicht zurechtfinden können. |
71s | Der hat sofort 'nen Job bekommen in einer KFZ-Firma |
75s | und hat ein bisschen an den Autos rumgeschraubt. |
77s | Allerdings war das auch nicht wirklich das, |
80s | was er sich vorgestellt hat unter Deutschland. |
82s | Das schöne reiche Europa. |
85s | Da, wo das Geld auf den Bäumen wächst. |
88s | Also fast schon eine kind- liche Vorstellung von Europa. |
92s | Und immer zu wenig Geld da war, |
94s | für 'nen Mann aus der Generation wahrscheinlich erst mal sowas wie |
97s | ein Unmännlichkeitsding, wenn man die Familie nicht ernähren kann. |
101s | Und ist dadurch wahrscheinlich auch eher den leichteren Weg gegangen, |
105s | um an die schnelle Mark ranzukommen. |
109s | Der Drogenverkauf, ich hab ihn nicht gesehen. |
112s | Das sind die Sachen, die ich natürlich gehört habe. |
114s | Und die mir erzählt worden sind. |
116s | Wir haben das erst viel später herausgefunden, |
118s | dass er im Gefängnis saß. |
119s | Für uns war er erst mal, oder für meine Mutter viel mehr, |
122s | war er verschwunden. |
123s | Und nach ein paar Jahren kam raus, dass er anscheinend in Nador saß, |
127s | in einem Gefängnis. Und er abgeschoben worden ist. |
130s | Ich habe meinen Vater nie kennengelernt. |
133s | Ich bin auf die Welt gekommen, meine Großeltern waren für mich da, |
136s | meine Mama, meine ganze Familie. |
138s | Es gab zwischendurch, als ich 4 Jahre alt war, |
141s | diesen Moment, wo er seinen Schwager zu meinem Großvater nach Marokko |
145s | geschickt hat, er hat seine Familie zurückverlangt. |
148s | Als wären wir sein Besitz. |
150s | Und mein Opa hat das eben nicht mit sich und mit uns machen lassen. |
153s | Er hat ihn weggeschickt. Daraufhin kam die Drohung, |
156s | dass er dafür sorgen wird, wenn er die Kleine sieht, |
159s | dass er sie mitnimmt. Und sie auch Marokko nicht verlassen kann. |
163s | Seitdem durfte ich im jungen Alter nicht mehr alleine |
167s | draußen in Marokko vor der Tür spielen. |
172s | Meine Mutter hat in Deutschland andauernd gearbeitet. |
175s | Sie muss ja irgendwie die Miete zahlen. |
177s | Sie hat ja sogar gearbeitet, als sie noch schwanger war mit mir. |
180s | Ich bin teils, während sie auf der Arbeit war, |
182s | bei meinen Großeltern geblieben. |
184s | Es war ein Hand-in-Hand-Spiel, das war meine Familie. |
187s | Meine Großeltern, meine Tanten, meine Cousinenm, Cousins, meine Mama. |
193s | Dieser Song "Que Walou", da gibt es ja die eine Zeile |
196s | "Ich hol' uns raus hier, Yemma, glaub mir". |
198s | Yemma bedeutet Mama. |
199s | Ja, das war einer der Sätze, den ich zu meiner Mutter gesagt habe, |
203s | wenn sie mir einreden wollte, dass Musik nix ist. |
208s | Dann habe ich immer zu ihr gesagt: |
210s | Mama, ich hol' uns hier raus. Glaub mir. Lass mich einfach mal machen. |
213s | Worauf die Zeile bezogen ist? |
215s | Natürlich, ganz klar, auf die Um- stände in denen wir gelebt haben. |
218s | Einzimmerwohnung, Zweizimmerwohnung, |
221s | einfach ein angenehmeres, leichteres Leben. |
224s | Dass man keine Angst haben muss. |
226s | So, schaff' ich diesen Monat, die Miete zusammen zu kriegen? |
229s | Oder: Kann ich mir jetzt den Kaffee beim Bäcker leisten? |
232s | Ich habe ihr den Song gezeigt, als ich den aufgenommen hatte. |
235s | Bei der Zeile kam' mir auf einmal die Tränen in die Augen geschossen. |
238s | Ich hab's gesagt und gemacht. |
241s | Das war für sie dann einfach so'n: Okay, wow! Ein krasser Moment. |
245s | Es ist wie, als hätte sie es prophezeit. |
248s | Es ist passiert. Es ist ein Moment, der mich sehr stolz gemacht hat. |
253s | Ich habe hier in Frankfurt meine Freunde, meine Familie. |
256s | Ich muss jetzt nicht irgendwie in die nächste größere Stadt ziehen, |
261s | um das Gefühl zu haben, ich bin an einem Ort, |
263s | wo was passiert, wo's pulsiert. |
265s | Hier pulsierts genauso. Frankfurt ist ein bisschen kleiner und gemütlicher, |
268s | würde ich sagen. Aber, ich mag Frankfurt ganz gerne. |
271s | Weil ich hier eben meine Wurzeln sind. |
273s | Frankfurt ist auch für mich wie ein Anker. |
276s | *Titelmelodie* |
279s | Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk (2016) |