0s | Liebe Karambolage Redaktion, vor kurzem |
4s | habe ich eine deutsche Eigenart entdeckt, |
6s | von der ich Ihren französischen |
8s | Zuschauern gerne berichten möchte. Ich |
10s | bin auf Schüleraustausch in Frankfurt. Am |
14s | ersten Abend ruft mich das Mädchen, bei |
16s | dem ich einquartiert bin, zum Abendessen. |
18s | Um 18 Uhr, etwas früh für eine |
21s | Französin. Auf dem Tisch: Brot, Wurst und |
25s | |
25s | Das ist sicher die Vorspeise, denke ich. |
27s | Aber nein, mehr gibt's nicht. |
30s | Na ja, meine Gastgeber haben wohl keine |
32s | Zeit zum Kochen gehabt. Von wegen, am |
35s | nächsten Tag dasselbe Spiel. |
37s | Belegte Brote. Jetzt verstehe, ich warum |
40s | man das Abendessen in Deutschland |
42s | “Abendbrot” nennt. Am Abend isst der |
45s | Deutsche Brot, also kalt. Dank meiner |
48s | Gastfamilie weiß ich nun praktisch alles |
50s | über dieses abendliche Ritual. Beim |
53s | traditionellen Abendbrot, das zwischen 17 |
56s | und 19 Uhr serviert wird, isst man |
59s | Brotscheiben, idealerweise acht |
61s | Millimeter dick, Butter, Wurstaufschnitt |
64s | |
65s | Das ist etwas aufregender, als es sich |
68s | anhört. Die Deutschen haben nämlich |
70s | unglaublich viele Brotsorten: Graubrot |
73s | aus Roggen und Weizenmehl, normales |
76s | Weissbrot, dann diesen Pumpernickel, aus |
78s | fast schwarzem Roggenschroth und 297 |
83s | andere Sorten, die ich hier nicht alle |
85s | aufzählen werde. Auch bei der Wurst gibt |
88s | es viel Abwechslung: Jagdwurst, Leberwurst, |
92s | Bierwurst, Gelbwurst, Schinken, Salami und |
95s | so weiter. Das Käseangebot ist leider |
98s | weniger exotisch: Gouda, Tilsiter und ein |
101s | etwas fader sogenannter Butterkäse. Und |
104s | jetzt geht es an die Arbeit. Manche |
107s | garnieren ihr Brot mit Gewürzgurken, |
109s | Radieschen, Gurke oder einem hart |
112s | gekochten Ei. Die Norddeutschen essen |
115s | gerne ihren eingelegten Bismarckhering |
117s | oder den geräucherten Bückling. Und im |
120s | Süden gibt es abends manchmal noch einen |
123s | Wurstsalat dazu. Der Brauch, am Abend kalt |
126s | zu essen, stammt aus den 1920er Jahren. |
129s | Im Gegensatz zum ländlichen Frankreich |
132s | entwickeln sich in Deutschland recht |
134s | früh Industriezentren. In den dortigen |
137s | Fabriken und Firmen werden bald Kantinen |
139s | eingeführt. Weil die Arbeiter am Mittag |
142s | warm essen, brauchen sie am Abend nicht |
145s | unbedingt noch eine zweite warme |
146s | |
147s | zumal ihre Arbeit dank des technischen |
150s | Fortschritts etwas weniger anstrengend |
152s | geworden ist. Also macht man es sich am |
155s | Abend einfach. Ein paar Scheiben Brot, und |
158s | basta. Anstatt von Tellern benutzen die |
161s | Deutschen übrigens solche Brettchen aus |
163s | |
165s | Die sind völlig platt und eignen sich |
167s | daher bestens zum Belegen der |
169s | Brotscheiben. Das Witzige ist, dass ich |
171s | beim Karambolage Rätsel schon einmal so |
174s | ein Brettchen gewonnen hatte, ohne genau |
176s | zu wissen, wozu es gut ist. |
178s | Mit freundlichen Grüßen, Chloe Ribotta. |